Aus der Zeitschrift EinSicht Herbst 2011

Meine Pflanzen und ich

Von Hedwig Bickel

Dieses Frühjahr war für mich und meinen Garten eine besondere Zeit: Es regnete zwei Monate lang keinen einzigen Tropfen. Meine Hoffnung auf Regen wuchs von Tag zu Tag. Mehrere Male bauten sich Gewitter auf und eine Regenfront näherte sich. Ich frohlockte schon, aber bis zum Nachbarort regnete es, nur wir bekamen wieder nichts ab. Die stark lehmhaltige Erde wurde nach und nach hart wie Beton - mit breiten Rissen durchzogen.

Am Anfang beobachtete ich nur - und spürte eine innere Anspannung dabei. Ich merkte, dass ich meinen Pflanzen beistehen muss.  Daher begann ich mit ihnen zu sprechen, ihnen zu erzählen, dass sie stark sind und diese Trockenperiode überstehen werden. Ich erklärte ihnen, dass der Garten zu groß sei, um ihn wässern zu können. Nur die Pflanzen, die dringend Wasser bräuchten, sollten mir das "zeigen".
Parallel dazu veränderte sich mein Umgang mit Wasser. Es schien mir jetzt wie Verrat, einfach mal unter fließendem Wasser einen Topf auszuspülen oder Gemüse zu waschen. In die Spüle stellte ich eine Schüssel, die jeden Tropfen auffing. Das so gerettete Wasser sammelte ich in 2 Gießkannen. Damit ging ich durch den Garten und schaute genau, wer Hilfe braucht.

Dabei lernte ich viel über meine Pflanzen. Sie hatten einen eigenen Mechanismus, sich zu schützen: Tagsüber machten sie sich "klein", ließen die Blätter hängen, um der Sonne wenig Angriffsfläche zu bieten. Nachts, wenn es abkühlte, konnten sie aufatmen, ihre Blätter ausstrecken und wurden wieder "groß". Ich goss immer nur morgens - und zwar die Pflanzen, die keine Kraft mehr hatten, sich aufzurichten und anfingen zu welken. Ich gab ihnen so viel, dass sie sich richtig satt trinken konnten. Während des Gießens und auch tagsüber sprach ich mit meinen Pflanzen und sagte ihnen, dass jetzt wenig Wasser da sei, sie aber trotzdem stark und gesund bleiben würden.

Die angewelkten Pflanzen konnten sich wieder erholen und sogar die Balkonpflanzen brauchten weniger Wasser als sonst. Sie teilten die vorhandene Ration mit den andern. Frisch Gesetztes und Gesätes, was ich gesondert betreute, begnügte sich auch mit weniger Wasser. Als dann der erlösende Regen kam, saß ich im Garten und spürte das Aufatmen, das Rauschen der Blätter, das Jubeln. Vor Freude liefen mir Tränen über die Wangen.

Meine Pflanzen und ich sind durch dieses gemeinsame Erleben noch enger zusammengewachsen. Für mich ist dadurch klar geworden, dass ich zu dem gedankenlosen Umgang mit Wasser nicht zurückkehren will. Weiterhin steht eine Schüssel in meinem Spülbecken, die das wertvolle Wasser auffängt.


» Nächster Artikel

« zurück zum Inhaltsverzeichnis